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Beherzt und beseelt
Essener Reformationsfeier nahm die Bedeutung der Seelsorge in den Blick
Unter der Überschrift „Beherzt und beseelt“ hat die Evangelische Kirche in Essen am Donnerstag einen berührenden und auch künstlerisch überzeugenden Reformationsgottesdienst gefeiert. In der festlich erleuchteten Kreuzeskirche konnte Skriba Silke Althaus rund 400 Besucherinnen und Besucher begrüßen, die nach dem Schlussakkord nicht mit ihrem Applaus sparten. Auch Oberbürgermeister Thomas Kufen war unter den Gästen.
Der Gottesdienst griff das Jahresthema „Die Seele zählt“ der Evangelischen Kirche in Essen auf und nahm verschiedene Formen der Seelsorge in den Blick – in Predigtimpulsen und auch musikalisch. Auf eine klangschöne Eröffnung durch den Bläserkreis Dellwig (Leitung: David Bernds) und die Begrüßung durch Silke Althaus folgten drei imaginäre „Ortsbegehungen“, die verschiedene Formen der Seelsorge in den Blick nahmen. Was „beseelt“ diese Orte, stärkt hier die Seele? Auf welche Weise wird hier „Lobbyarbeit für die Seele“ geleistet – und was zeichnet sie aus?
ORTSBEGEHUNG: SEELSORGE FÜR STUDIERENDE
Dr. Vera von der Osten-Sacken ist Pfarrerin der Evangelischen Studierendengemeinde Duisburg-Essen (ESG) und begleitet Studentinnen und Studenten aus vielen Ländern seelsorglich. Gut ist es, dass die Seelsorge schon beim Semesterstart, zwischen Studienplanung und Gewinnspielen, ihren Platz hat. Die Studierendengemeinde ist ein Rückzugsort, an dem Seminare, Vorträge und Gottesdienste stattfinden, es gibt ein beliebtes Café, die Campus-Kapelle, an der die Zeit scheinbar nur halb so schnell vergeht wie auf dem übrigen Gelände der Universität – und eine regelmäßige Sprechstunde. Zukunftssorgen, erlebte Übergriffigkeit, Einsamkeit und Prüfungsangst können hier in einem seelsorglich geschützten Rahmen zur Sprache kommen.
„Auch Tod und Sterben kommen vor an der Uni – viel öfter, als man denkt: Eltern und Verwandte, auch Freunde von Studierenden, auch ein Kollege.“ Fit zu sein sei wichtig, und das man funktioniere. „Für Traurigkeit ist oft wenig Zeit.“ Einmal geht es nur ums Zuhören. Ein anderes Mal um Coaching. Ein drittes Mal darum, den Weg zu einer professionellen Therapie zu vermitteln. „Uni ist der Anfang von ganz vielen Dingen. Ein Stück deines Lebens sind wir bei dir. Dann kommen andere. Wenn du willst, dann komm mal zurück zu uns. Wir würden uns freuen.“
ORTSBEGEHUNG: SEELSORGE IM KRANKENHAUS
Uwe Matysik ist als Krankenhauspfarrer an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM) tätig und Sprecher des Konvents der Krankenhausseelsorge. Wie hilft Seelsorge an der Grenze des Lebens, wenn körperliche und psychische, psychosomatische und spirituelle Belastungen unerträglich schwer auf der Seele liegen? Wenn Menschen realisieren, dass sie nur noch eine sehr begrenzte Lebenszeit vor sich haben?
In diesen Momenten könne Seelsorge einen Kontakt herstellen und eine Begegnung ermöglichen, die die Patientinnen und Patienten als wohltuend für ihre Seele empfänden, sagte Uwe Matysik. Wichtig seien Empathie und eine wohlwollende Präsenz: Signale des Mitgehens und der Sympathie zeigen; auch nur Angedeutetes wahrnehmen und darauf eingehen; dabeibleiben, auch wenn es Kraft kostet. Resonanz geben auf das, was im Raum ist. Den unlösbaren Fragen nicht aus dem Weg zu gehen: Warum? Warum ich? Das gelebte Leben wertschätzen – auch das, was nicht gelungen oder offengeblieben ist. „Indem wir leidenden Menschen Segen zusprechen, vertrauen wir sie der Sorge und der Liebe Gottes an.“ Formen der Zuwendung und der Anteilnahme die als heilsam erfahren werden: „Gottes Möglichkeiten sind nie erschöpft.“
ORTSBEGEHUNG: SEELSORGE IN DER ESSENER INNENSTADT
Ulf Steidel liegt als Pfarrer und Seelsorger der Altstadt-Gemeinde mit dem Schwerpunkt „Kultur und Gesellschaft, Bildung und Öffentlichkeit“ Essens Mitte sehr am Herzen. In seiner Ansprache erinnerte er zunächst an die vollständige Zerstörung der Kreuzeskirche im Zweiten Weltkrieg. „Wie wird aus Hass Versöhnung, aus Zerstörung Gemeinschaft?“ Seit 2007 ist die Kreuzeskirche ein „Nagelkreuzzentrum“ und hat sich damit einer Versöhnungsinitiative angeschlossen, die von der ebenfalls im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kathedrale im englischen Coventry ausging.
Um Versöhnung gehe es auch heute, um die Kreuzeskirche herum: In der Essener Innenstadt leben Menschen aus 18 Nationen, ein Drittel bezieht Sozialleistungen, um den Alltag menschenwürdig zu gestalten. Wie geht Versöhnung, wie entsteht Gemeinsinn in diesem Quartier der Verschiedenen, der Bedürftigen? Eine Möglichkeit biete die „Initiative neue Fachgeschäfte in der Nordstadt“. Dabei gehe es nicht nur um Geschäfte für Produkte oder handfeste Dinge, sondern „auch für das daneben und auch sonst Lebenswichtige“. So könne die Marktkirche zum „Fachgeschäft für Unterbrechungen“ und die Kreuzeskirche, als Nagelzentrum, zum „Fachgeschäft für Versöhnung“ werden.
Die Kirche als „Fachgeschäft der Versöhnung“ – auch dieser Gedanke findet sich im Jahresthema „Die Seele zählt“ der Evangelischen Kirche in Essen wieder. „Meine Seele – Zeichen, dass ich zum Leben brauche, was ich mir selbst nicht geben kann. Meine Seele – Erinnerung daran, wie zerbrechlich ich und andere sind. Meine Seele – Unruhe in mit, damit ich das Sehnen und Suchen nicht lasse. Meine Seele – Ort meiner Trauer und Ort des geschenkten Trostes. Meine Seele – Schnittstelle der Verbundenheit mit dem Geheimnis des Lebens. Manchmal nenne ich es GOTT; wie nennen es andere?“
Eine „Ortsbegehung zur Seele“ bringe die Menschen in Kontakt und Austausch: „Jede und jeder hat zu diesem Ort und diesem Bild in sich, zu dieser Unruhe und Sehnsucht eine unverwechselbare Geschichte zu erzählen – gleich welcher Herkunft und Weltanschauung, gleich welcher Selbstdefinition oder Zuschreibung. Lasst uns die einander erzählen und die Ohren spitzen.“
SEELSORGE IN DER MUSIK
Gerahmt bzw. erweitert wurden die drei Predigtteile durch musikalische Impulse über das Loblied „Du meine Seele, singe“ von Paul Gerhardt. Dabei überzeugten nicht nur die Interpretationen durch Piano und Sologesang, Orgel, Bläser und Vokalensemble: Angeleitet von Kreiskantor Thomas Rudolph, wurde die Gottesdienstgemeinde schließlich selbst zum Chor, erfüllte den großen Kirchsaal mit einem zweistimmigen Kanon und ließ den „Gesang der Seele“ musikalisch zur Decke emporsteigen.
Für weitere Gänsehaut-Momente sorgte einmal mehr das hervorragend aufgelegte „Vokalensemble Vollklang“ des Kirchenkreises Essen, das unter der Leitung von Thomas Rudolph die Motette „Was betrübst du mich, meine Seele“ von Johann Hermann Schein und „Ubi Caritas“ von Kim André Arnesen darbot und bei der Begleitung des Gemeindegesangs auch als Percussion-Gruppe überzeugte.
Kongenial abgerundet wurde die musikalische Gestaltung durch das virtuose Orgelspiel von Andy von Oppenkowski, Kantor der Altstadtgemeinde und Künstlerischer Leiter des Forums Kreuzeskirche. Nachdem der verdiente Applaus verklungen war, nutzten viele Besucherinnen und Besucher die Gelegenheit, bei Getränken und einem Imbiss des Diakonie-Restaurants Church noch ein wenig zu verweilen und sich über das Gehörte auszutauschen.
AUSGANGSKOLLEKTE FÜR DIE FRIEDENSBILDUNG IN NAHOST
Die Ausgangskollekte kam in diesem Jahr dem „Rossing center for education and dialogue“ in Jerusalem zugute. Die interreligiöse, friedensbildende Organisation hört auch in diesen Kriegszeiten nicht auf, sich für eine andere Zukunft, ein friedliches Miteinander der Menschen im Nahen Osten einzusetzen. Das 20-köpfige Team aus Juden, Muslimen, Christen bietet an Schulen und Universitäten, in Behörden und im Militär Dialogformate und Bildungsprogramme an. Über 1.400 Euro kamen am Ende für diesen Zweck zusammen - der Kirchenkreis dankt allen Unterstützerinnen und Unterstützern herzlich!
Die drei Predigtimpulse über die Seelsorge für Studierende, im Krankenhaus und in der Essener Innenstadt veröffentlichen wir in den kommenden Tagen in unserem Blog HIMMELrauschen:
Zum Blog HIMMELrauschen der Evangelischen Kirche in Essen »