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Kirchensteuer-Minus hat Folgen
Reduzierte Prognose zwingt zum sofortigen Handeln
(Essen, 26.03.2024) In einen Schreiben haben die Superintendentin des Kirchenkreises Essen, Marion Greve, und der Vorsitzende des synodalen Finanzausschusses, Thomas Caspers-Lagoudis, über die stark reduzierte Kirchensteuer-Prognose der Evangelischen Kirche im Rheinland informiert und in eindringlichen Worten die drohenden Folgen beschrieben.
Der Kipp-Punkt sei bereits überschritten, heißt es in den Brief, den die Mitglieder des Pfarrkonvents und die Presbyterien der 26 Kirchengemeinden, die Gemeindeübergreifenden Dienste, die Abteilungen im Evangelischen Verwaltungsamt Essen und das Moderationsteam Gestaltungsräume am 26. März erhalten haben. Dass die Haushaltsplanung der rheinischen Kirche während der Landessynode aktualisiert werden musste, sei ein bis dahin beispielloser Vorgang, führten Marion Greve und Thomas Caspers-Lagoudis aus.
Daher müssten alle Körperschaften ihre Haushalts- und Personalplanungen umgehend auf deutlich sinkende Kirchensteuerzuweisungen einstellen. Auf der Ebene der Gemeinden seien baldmöglichst Fusionen anzustreben; erstmals skizzierte die Superintendentin die Bildung einer einzigen Kirchengemeinde Essen bis zum Jahr 2035, die dann neben den Kirchenkreis existieren soll, als Lösungsvorschlag. Positiv: Bereits gezahlte Kirchensteuerzuweisungen sollen nicht zurückgefordert werden.
DER BRIEF VOM 26. MÄRZ 2024 IM WORTLAUT
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder,
der vom Finanzdezernenten Oberkirchenrat Henning Boecker auf der Landessynode 2024 vorgestellte Finanzbericht hat erstmals in der Geschichte zu einer geänderten Beschlussfassung gegenüber den bereits geplanten Umlagen für 2024 geführt. Die Kirchensteuer-Prognose für das Jahr 2024 musste aufgrund der Kirchensteuer-Entwicklung des Jahres 2023 reduziert werden. Das Jahr 2023 endete mit einer Minderung von rd. 7 % gegenüber dem Jahr 2022.
Die Landeskirche geht ferner für 2024 davon aus, dass die Kirchensteuern um weitere 2 % gegenüber 2022 sinken werden. Das Kirchensteueraufkommen Januar/Februar 2024 weist allerdings bereits höhere Minderungen aus.
Der Finanzdezernent hat in seinem Bericht darauf hingewiesen, dass es bei der Schätzung der Kirchensteuern zu einer Entkoppelung gegenüber der Steuerschätzung für den staatlichen Bereich gekommen ist. Damit einher geht die Entwicklung bei den Kirchenaustritten. Es treten vermehrt gutverdienende Personen mittleren Alters aus. Ferner wirken die demographischen Faktoren etc. weiter. Dies alles weist darauf hin, dass der erwartete Kipp-Punkt erreicht, wenn nicht schon überschritten ist.
WAS BEDEUTET DAS FÜR DEN KIRCHENKREIS ESSEN?
Wir haben aufgrund dieser Entwicklungen für die Evangelische Kirche in Essen eigene Berechnungen vorgenommen und diese im Finanzausschuss und Kreissynodalvorstand beraten. Für das Jahr 2023 liegt auch für Essen das Kirchensteueraufkommen um ca. 6,5 % unter dem Vorjahreswert und entsprechend deutlich unter der Planung.
Die bereits gezahlten Beträge für 2023 werden nicht anteilig zurückgefordert.
Dies führt dazu, dass die geplante Rücklagenzuführung von 1 Mio. Euro nicht erfolgen kann. Darüber hinaus muss zusätzlich eine Entnahme aus der Ausgleichsrücklage von rd. 1 Mio. Euro vorgenommen werden. Ohne diese Maßnahmen läge der Pro-Kopf-Zuweisungsbetrag bei 109,29 Euro je Gemeindeglied und damit um 8,00 Euro unter dem Planwert.
Ob der zugesicherte Pro-Kopf-Zuweisungsbetrag für das Jahr 2024 (123,30 Euro) gehalten werden kann, wird die weitere Kirchensteuer-Entwicklung zeigen. Nach der neuen landeskirchlichen Prognose, mit einer Minderung von weiteren 2 %, wäre zum Halten der Zusicherung ein Verzicht auf die geplante Rücklagenzuführung von 0,5 Mio. Euro und eine weitere Entnahme aus der Ausgleichsrücklage der Gemeinden von rd. 1,4 Mio. Euro erforderlich. Auf Basis der Neuplanung ergibt sich eine Pro-Kopf-Zuweisung von nur noch 112,33 Euro, also pro Gemeindeglied ca. 11,00 Euro weniger als ursprünglich geplant.
Dies bedeutet für jede Gemeinde perspektivisch und eventuell schon ab 2024 einen deutlichen Rückgang der Kirchensteuerzuweisung! Unter Berücksichtigung der Inflation (insbesondere Personalkostensteigerung) folgt daraus eine erhebliche Einschränkung der finanziellen Handlungsmöglichkeiten.
BESCHLUSS DES KREISSYNODALVORSTANDES
Der Kreissynodalvorstand hat in seiner Sitzung am 15. März 2024 daher folgendes beschlossen:
Alle kirchlichen Körperschaften sind auf der Grundlage der Informationen zur finanziellen Entwicklung verpflichtet, ihr zukünftiges Handeln, insbesondere jede strukturelle und organisatorische Veränderung, an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Auf der Frühjahrssynode 2024 werden weitere Informationen und Austausch folgen.
Wir halten die Veränderungen für so bedeutsam, dass wir Ihnen im Vorfeld der Synode die veränderte Finanzsituation darlegen möchten und bitten jede Kirchengemeinde, mindestens durch Ihre/Ihren Vorsitzende/Vorsitzenden und Finanzkirchmeister*in an einer Zoom-Sitzung am 22. Mai 2024 um 19.00 Uhr teilzunehmen.
BERATUNGEN DES KREISSYNODALVORSTANDES
Der Kreissynodalvorstand hat in seiner Klausur am 15./16. März 2024 die geänderten kritischen Rahmenbedingungen beraten; beispielhaft seien aufgeführt:
-- Deutliche Verschlechterung der Finanzsituation
-- Demographische Entwicklung und stark sinkende Mitgliedszahlen (31.12.2022: minus 4.701 und 31.12.2023: minus 4.569)
-- Überlastung der Presbyterien
-- Notwendige strukturelle Entscheidungen zu Gebäuden und Personalstellen
-- Entscheidungen fordern hohe Expertise
-- Vermehrt kirchliche Anforderungen von der Landeskirche und durch staatliche Gesetzgebung
-- Vertretungsengpässe
-- Nachwuchsmangel bei beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden
-- Image- und Relevanzverlust
-- Mitglieder haben keinen selbstverständlichen Bezug mehr zur Vorortgemeinde.
Deutlich ist: die geänderten Rahmenbedingungen drängen uns jetzt (!) zur konsequenten Umsetzung unserer Synodalbeschlüsse.
BETR. PFARRSTELLENENTWICKLUNG:
Auf Basis der aktuellen Gemeindegliederzahlentwicklung werden in unserem Kirchenkreis bis zum Jahr 2030 bei einem Schlüssel von „1 Pfarrstelle pro 3.000 Gemeindeglieder“, die uns bekannten Ruhestandsversetzungen berücksichtigend, nur noch 2,5 Pfarrstellen neu zu besetzen sein. Zusätzlich müssen wir damit rechnen, dass es aufgrund der landes-kirchenweit stark rückläufigen Pfarrstellenzahl eine Erhöhung der 3.000er Zahl in Essen in einem deutlichen Umfang geben wird.
Für die Essener Pfarrstellenentwicklung haben wir bei der Novembersynode 2023/TOP 3 beschlossen, dass wir die sechs Gestaltungsräume nutzen, um pfarramtliche Versorgung zu organisieren:
-- Damit bei geringeren Pfarrstellenzuweisungen die Ressourcen gleichmäßig verteilt sind, werden Pfarrstellenüberhänge ab dem 01.01.2024 im Gestaltungsraum abgebaut/organisiert.
-- Um den Übergang des Abbaus und möglicherweise entstehende Härten abzufedern, können wir in Essen glücklicherweise auf junge Theolog*innen zurückgreifen, die wir gerne halten wollen und mit denen wir für jeden Gestaltungsraum individuelle Lösungen suchen.
BETR. ANZAHL DER GEMEINDEN IM KIRCHENKREIS:
Die intensiven Beratungen im Kreissynodalvorstand mit Blick auf Evangelische Kirche in Essen im Jahr 2035 führten zu dem Ergebnis: wir brauchen angesichts der zurückgehenden Ressourcen eine größere Organisationseinheit, innerhalb derer wir kirchliches Leben gestalten. Wir ermutigen alle Gemeinden dringend, so viel strukturierte Zusammenarbeit wie möglich zu wagen, um Doppelstrukturen wie 26 Haushalte, 26 Bilanzen, 26 inhaltliche Beauftragungen wie Bau- und Finanzkirchmeister*innen, Klimasachverständige etc. aufzuheben.
Es gilt, sich jetzt (!) auf die geringeren personellen und finanziellen Ressourcen einzustellen. Diese schweren Entscheidungen im Hier und Heute dürfen wir nicht unseren Kindern und Enkelkindern überlassen. Vielmehr haben wir gemeinsam jetzt die Möglichkeiten zu gestalten.
Konkret ermutigt der Kreissynodalvorstand alle Presbyterien dazu, eine Fusion aller Gemeinden in einem Gestaltungsraum zu prüfen.
Es gilt zeitnah unsere kirchliche Struktur den neuen Finanzdaten und Mitgliedszahlen anzupassen. Wir erwarten deshalb von allen Gemeinden, dass die großen Entscheidungen (Veränderungen im Personalbereich von Jugendleiter*innen, von Kirchenmusiker*innen etc., Schließungen von gemeindlichen Räumen und Kirchen) vom jeweiligen Gestaltungsraum her gedacht werden.
Der strukturelle Weg zur Organisation von kirchlicher Arbeit wird uns von 26 Gemeinden über 6 Gestaltungsräume hin zu einer Zukunftsgemeinde in Essen im Jahr 2035 führen.
Dabei trägt uns inhaltlich die Vision von gemeindlicher Vielfalt: EINE große Gemeinde Essen mit vielen kirchlichen Orten aus Kirchengemeinden, gemeindeübergreifenden Diensten und innovativen Formen. Ausgehend von der Idee einer „Mixed Ecology“, einer Kirche in vielfältiger Gestalt, bei der das Prinzip der Gleichwertigkeit in der Vielfalt gilt.
Wir stellen uns 2035 neben dem Kirchenkreis EINE Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Essen vor, die viele gemeindliche/kirchliche Orte beherbergt. Eine solche größere Organisationseinheit würde uns ermöglichen, die Versäulung von gemeindeübergreifenden Diensten und Gemeinden aufzuheben sowie neuen gemeindlichen Formen eine Chance zu geben, auf Augenhöhe miteinander Kirche zu sein. Beim Kirchenkreis wiederum könnten zukünftig alle Dienstleistungen liegen (Pfarrstellen, Personal, Gebäude, Verwaltung etc.).
SCHLUSS
Liebe Geschwister,
als Superintendentin ist mir daran gelegen, von der Vorstandsklausur herkommend diese Überlegungen und Zukunftsbilder einer Kirche in Essen 2035 transparent mit Ihnen zu teilen. Selbstverständlich werden wir in der Folge in unterschiedlichen Formaten (Konvente, Thinktanks, Synoden) gemeinsam beraten und diskutieren.
Im Anschluss an die Sitzung des Finanzausschusses vom 14. März und die KSV-Klausur vom 15./16. März gehen wir nun auf die Kreissynode am 07./08. Juni zu, bei der wir uns auf einen lebendigen Austausch zu Inhalt und Gestalt unserer „Kirche in Essen 2035“ freuen. Im Anschluss an die Synode planen wir nach den Sommerferien einen Thinktank/eine Zukunftswerkstatt für alle Interessierten. Die Kreissynode im November 2024 wird die Ergebnisse der Gestaltungsräume entgegennehmen und mit Blick auf das Zielbild Kirche 2035 konkretisieren.
Gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Finanzausschusses und Mitglied im Kreissynodalvorstand Thomas Caspers-Lagoudis grüße ich Sie herzlich mit dem biblischen Leitvers unserer Kirchenkreiskonzeption, Psalm 31,9:
„Du, Gott, stellst meine Füße auf weiten Raum.“
Marion Greve
Superintendentin
Thomas Caspers-Lagoudis
Vorsitzender des Finanzausschusses